Einblick in die russische Seele – zu Gast in Sibiriens Datschas Russlands Präsident Wladimir Putin besitzt eine Datscha, Stalin starb auf einer Datscha: Das Sommerhaus der Russen, ob selbstgebaut oder ein millionenteurer Palast, gehört zur Kultur wie die Sprache, die orthodoxe Kirche und der Vodka. Während auf politischer Ebene zwischen Europa und Russland eine politische Eiszeit herrscht wie nie mehr seit dem kalten Krieg, suchen die Russen auf ihren Datschas den Kontakt zur Natur und Frieden mit sich selbst. Über ganz Russland verteilen sich Millionen von Datschas. Auf einer Fläche von 400 bis 600 Quadratmetern pflanzen viele Russen ihr eigenes Gemüse an und verbringen den kurzen Sommer in einem meist selbst gezimmerten Holzhaus. 2013 sollen die Datschas gemäss gewissen Statistiken beinahe die Hälfte der landesweiten Lebensmittelproduktion abdecken. Einst verschenkte der Zar Land für Datschas und zur Zeit der Sowjetunion erhielten Parteifunktionäre oder erfolgreiche Angestellte von Staatsfirmen Grundstücke, wo sie ihren Traum der kleinen Freiheit verwirklichen durften. In Sibirien, der Schatzkammer Russlands und einer der grössten zusammenhängenden Landflächen der Welt, verstecken sich die Datschas in scheinbar unendlichen Birkenwäldern oder säumen den Angara Fluss - den einzigen Abfluss des Baikalsees. Die einen sind halb zerfallen, andere wiederum sind richtige Paläste wie jene von Wladimir Putin, der gleich mehrere Datschas in Russland besitzt. Und immer wieder trifft man auf kleine Schmuckstücke - mit viel Liebe und Herzblut über mehrere Jahre selbst gebaut. Auf den Datschas lässt es sich mit den Russen und Russinnen besonders gut reden. Nicht nur über Blumen, Gemüse und die Natur, sondern auch über ihre Geschichte und sogar Politik. Und nicht zuletzt über das eisige Verhältnis, das momentan zwischen dem Westen und Russland herrscht. Was denken sie über Wladimir Putin, der im Westen als Diktator gilt, wie sehen sie den Krieg in Syrien, machen sie sich Sorgen über ihre eigene Situation und über ihre Zukunft? Es sind keine einfachen Gespräche. Viele Russen fühlen sich vom Westen angegriffen und stehen hinter ihrem Präsidenten, weil er in ihren Augen der einzige ist, der das riesige Land zusammenhalten kann. Doch einen Krieg, den wollen die meisten Bürgerinnen und Bürger von Russland nicht. Sie wollen Frieden wie die Menschen in Europa. Frieden und eine stabile Wirtschaft. Ob diese Träume sich erfüllen werden, ist angesichts der herrschenden politischen Lage, die manche schlimmer als den Kalten Krieg betrachten, höchst ungewiss. Abonniere NZZ Format: https://goo.gl/Fy28as

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